Trauen Sie nicht dem Bauchgefühl

Vertrauen Sie Ihren Instinkten. Folgen Sie Ihrem Herzen. Seien Sie einfach Sie selbst. Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl. 

In letzter Zeit gibt es in der Gesellschaft einen wachsenden Trend, Ratschläge zu erteilen, die im Wesentlichen besagen, dass es richtig ist, das zu tun, was sich natürlich anfühlt. Die gleiche Idee überträgt sich auf Poker, wenn Spielern geraten wird, „ihrem Bauchgefühl zu vertrauen“, weil Ihr Bauchgefühl immer das beste Play kennt. Der Bauch wird sogar von Gefühlsspielern wie Phil Ivey verherrlicht, die so starke Instinkte zu haben scheinen, dass sie wie Luke Skywalker sind, der übermenschliche Fähigkeiten besitzt. Außerdem gab es wahrscheinlich eine Zeit, in der Sie nicht auf Ihr Bauchgefühl gehört und den Preis dafür bezahlt haben. Es ist brutal zu wissen, dass Sie das richtige Play im Kopf hatten, also sagen Sie sich, dass Sie nie wieder gegen Ihr Bauchgefühl spielen werden. Natürlich gehen Sie beim nächsten Mal wieder dagegen vor und sagen sich das Gleiche. Ehrlich gesagt ist es gut, dass Sie Ihrem Bauchgefühl nicht immer vertrauen – es ist nicht perfekt und um es richtig zu nutzen, brauchen Sie eine gute Strategie.

Spieler machen ebenfalls den Fehler, das Bauchgefühl völlig außer Acht zu lassen und sich stattdessen auf einen rein logischen und analytischen Ansatz zu verlassen, um Entscheidungen zu treffen. Beide Extreme – übermäßiges Vertrauen und übermäßiges Diskontieren – können mit einer Strategie korrigiert werden, mit der Sie diesen wichtigen Teil Ihrer Entscheidungsfindung nutzen können. Beim Poker auf Ihr Bauchgefühl zu vertrauen, kann ein großer Fehler sein, wenn Sie nicht wissen, was Ihr Bauchgefühl ist und wann es Sie fehlleiten kann. Ich habe festgestellt, dass der beste Weg, eine Strategie für das Bauchgefühl zu entwickeln, darin besteht, das Mysterium zu lösen.

Ihr A-B-C Game

Das Bauchgefühl kann entweder ein Gefühl oder eine Reaktion sein, die Sie haben, wenn Sie eine Entscheidung treffen. Eine solche Reaktion oder ein solches Gefühl kommt Ihnen so schnell in den Sinn, dass der normale Denkprozess überhaupt nicht hinterherkommt. Denken ist ein sehr aktiver Prozess, bei dem Sie Informationen berücksichtigen und Teile zusammensetzen, um zu einem Schluss zu kommen. Dieser Vorgang dauert zwar nur wenige Sekunden, aber Ihr Bauchgefühl gibt Ihnen scheinbar in Lichtgeschwindigkeit eine Antwort auf Ihr Problem. Sie können über das Bauchgefühl nachdenken und entscheiden, ob Sie ihm folgen wollen oder nicht. Der richtige Denkprozess ist dagegen eine ganz andere Sache.

Diese sofortige Antwort entsteht nicht aus dem Nichts, sie kommt aus unbewusstem Wissen, das Sie in Ihrem Kopf haben. Hier liegt der Schlüssel, um zu bestimmen, wann Sie Ihrem Bauchgefühl vertrauen und wann nicht. Dieses unbewusste Wissen kann sowohl alt als auch neu sein. Wenn Sie Ihr A-Game spielen, wird Ihr Spiel durch neues unbewusstes Wissen angetrieben, das Sie während des Spiels sammeln. Dies ist normalerweise darauf zurückzuführen, dass Sie konzentriert und gedanklich topfit sind. Das neue Wissen gibt Ihnen zum Beispiel ein starkes Gefühl dafür, wie sich die Spieler am Tisch verhalten und wie Ihr Image wahrgenommen wird.

Auf der anderen Seite haben Sie beim Spielen Ihres B- und C-Games nicht genug Energie, um richtig zu denken, und Sie verlassen sich mehr auf altes unbewusstes Wissen. Dieses unbewusste Wissen stammt aus den unzähligen Lernvideos und den Erfahrungen aus den Monaten und Jahren zuvor. Nun, ein Teil dieses Wissens stellt Bereiche Ihres Spiels dar, die stark und so routinemäßig sind, dass sie automatisch passieren, wie das folden von 72o UTG. Aber ein Teil dieses Wissens ist veraltet oder fehlerhaft und kann Ihnen bei einer richtigen Entscheidungsfindung nicht helfen.

Nutzen Sie das Bauchgefühl zu Ihrem Vorteil

In der Lage zu sein, zu unterscheiden, ob Sie gut oder schlecht spielen, unabhängig davon, wie Sie laufen, ist der Schlüsselfaktor, den Sie berücksichtigen sollten, wenn Sie entscheiden, ob Sie Ihrem Bauchgefühl vertrauen sollten oder nicht. Dies ist ein weiterer Grund, warum die A- bis C-Game-Analyse aus dem Kapitel „Werden Sie ein guter Verlierer“ in diesem Leitfaden hilfreich sein kann. Wenn Sie sich damit eingehender befassen, können Sie die Änderungen in Ihrem Spiel leichter erkennen und wissen somit, was mit dem Gefühl zu tun ist, das Sie bezüglich der Hand haben. Im Folgenden finden Sie einige zusätzliche Gedanken, die Ihnen beim Erstellen einer Strategie helfen sollen.

Vertrauen Sie nicht Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie am Tilten, müde oder extrem nervös sind oder in anderen Fällen, in denen Ihre Denkfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist. In diesen Momenten spielen Sie Ihr C-Game und das fehlerhafte unbewusste Wissen wird sich auf Ihr Bauchgefühl übertragen. Es wird Ihnen sagen, dass es in Ordnung ist, mehr Risiko einzugehen, mit viel mehr Händen zu callen, den River zu bluffen oder zu passiv zu spielen. Was auch immer die spezifischen Fehler sind, die Sie im schlimmsten Fall machen, es wird sich richtig anfühlen und Ihr Bauchgefühl wird Ihnen sagen, was Sie tun sollen. Wenn dies passiert, müssen Sie entweder aufhören und eine kurze Pause einlegen oder sich dazu zwingen, diese Reaktionen zu überdenken.

Verbessern Sie Ihre Pokerfähigkeiten

Obwohl ich nicht vorschlage, dass Sie Ihrem Bauchgefühl folgen sollten, wenn Sie schlecht spielen, empfehle ich Ihnen dringend, Ihr Bauchgefühl zu analysieren, wenn Sie mit dem Spielen fertig sind. Nutzen Sie dafür die A- bis C-Game-Analyse, damit Sie eine klarere und genauere Vorstellung von Ihrem C-Game haben. Zumindest wird dieser Tipp es Ihnen einfacher machen, zu erkennen, wann Sie in Ihr C-Game abgerutscht sind. Außerdem können Sie, wenn Sie analysieren, warum Ihnen an dieser Stelle zum Beispiel ein Call überhaupt in den Sinn kommt, die fehlerhafte oder unvollständige Logik in Ihrem C-Game korrigieren. Diese Art von Analyse deckt Fehler in Ihrem strategischen oder mentalen Spiel auf. Spieler verpassen oft die Gelegenheit, diese eingehender zu studieren und sich zu verbessern.

Vertrauen Sie nicht Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie gerade erst mit dem Pokern angefangen habe. Sie verfügen über zu wenig Erfahrung und Ihre Instinkte verlassen sich wahrscheinlich auf etwas anderes als die erforderlichen Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Außerdem ist ein Anfänger, der denkt, dass er diese Fähigkeiten besitzt, meist einfach nur übermütig. Überlassen Sie die komplexeren Pokertipps den fortgeschrittenen Spielern – zumindest am Anfang.

Experimentieren Sie mit Ihrem Bauchgefühl

Vertrauen Sie nicht Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie zu selbstsicher sind, da Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Entscheidungen im Spiel richtig sind, eher überschätzen. Daher vertrauen Sie fälschlicherweise Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie keinen Vorteil haben oder nicht gut spielen. Dies kann passieren, wenn Sie gut laufen, da Sie leicht davon ausgehen können, dass ein Gewinn bedeutet, dass Sie gut spielen. In der Lage zu sein, die Anzeichen von Selbstüberschätzung zu erkennen, ist sehr wichtig, um Ihre falschen Gefühle in Schach zu halten. Wenn Sie nicht erkennen können, wann Sie übermütig sind, werfen Sie einen Blick in Kapitel 8.

Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie in der Zone sind, und Ihre Entscheidungsfindung wird durch neues unbewusstes Wissen angetrieben. Wenn Ihre Energie, Ihr Fokus und Ihre Entscheidungsfindung ideal sind, haben Sie Zugriff auf Ihre gesamte Palette an Pokertipps und Ihr Bauchgefühl ist so genau wie möglich. Das bedeutet nicht immer, dass es richtig ist, da Poker ein komplexes Spiel ist. Aber wenn Sie es falsch machen, wussten Sie sowieso nicht genug, um es richtig zu machen, also lernen Sie daraus und arbeiten Sie weiter an Ihren Fähigkeiten.

Wenn Sie Ihrem Bauchgefühl vertrauen möchten, sollten Sie dies als Experiment tun. Ich würde diesen Tipp Anfängern oder Spielern mit ernsthaften Problemen im mentalen Bereich des Pokers nicht empfehlen. Aber wenn Sie lernfreudig und in der Lage sind, mit Up- und Downswings und den emotionalen Auswirkungen von Fehlern umzugehen, denken Sie darüber nach, immer auf Ihr Bauchgefühl zu hören. Wieso überhaupt? Ganz einfach, wenn Ihr Bauchgefühl richtig ist, gewinne Sie, und wenn es falsch ist, lernen Sie etwas.

Was treibt Sie beim Poker an?

Wenn Sie sich zum Beispiel in einer Situation wiederfinden, in der Ihr Gegner möglicherweise am River blufft und Sie Middle Pair haben, könnte Ihr Instinkt zu callen von unbewusstem Wissen stammen, das bemerkt hat, dass er häufig am River blufft. Wenn Sie in diesen Spots häufig callen und gewinnen, ist es wahrscheinlich, dass Ihr Bauchgefühl richtig lag. Wenn Sie häufig callen und verlieren, haben Sie etwas gefunden, an dem Sie arbeiten müssen – entweder ist etwas fehlerhaft oder fehlt in Ihrem strategischen Wissen, oder es gibt ein mentales Pokerproblem, das Sie zum Call zwingt.

Schließlich erfordert die Verwendung Ihres Bauchgefühls für experimentelle Zwecke - wie alles andere beim Poker - eine vertretbare Stichprobengröße. Gehen Sie nicht davon aus, dass einmal Recht oder Unrecht alle zukünftigen Entscheidungen beeinflussen sollte.

Jared Tendler, MS, LMHC ist lizenzierter Therapeut mit der Spezialisierung auf den Themenbereich der Sportpsychologie und einer der führenden Experten im Bereich des mentalen Aspekts von Poker. In seinen fast 10 Jahren als Poker-Coach hat er mit über 500 Spielern aus über 45 Ländern zusammengearbeitet, darunter den besten Spielern der Welt. Außerdem ist er Autor von zwei Bestsellern auf diesem Themengebiet, The Mental Game of Poker 1 und Poker 2.